Tröhler, Margrit, Von Weltenkonstellationen und Textgebäuden. Fiktion – Nichfiktion – Narration in Spiel- und Dokumentarfilm, montage/av, Vol. 11 Issue 2, 2002, 9–41. Margrit Tröhler Von Weltenkonstellationen und Textgebäuden Fiktion – Nichtfiktion – Narration in Spiel- und Dokumentarfilm1 Bevor ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, schien alles klar: Die Fiktion gehörte zum Spielfilm, der Geschichten erzählt, während der Dokumentarfilm in den Bereich der Nichtfiktion fiel. Doch schon mit dem Begriff der Narration oder allgemeiner gesagt des Narrativen stellte sich das erste Problem: Spielfilme werden allgemein als narrativ bezeichnet, aber von welchem Moment an sind Dokumentarfilme narrativ? – Spätestens bei der nächsten Frage fing das Karussell sich zu drehen an: Wie steht es mit der Biographie oder der Autobiographie, für die angenommen werden darf, dass zumindest die Figur historisch verbürgt ist, die im Zentrum der Erzählung steht und deren mehr oder weniger kohärente Lebensgeschichte wir lesen oder sehen? Wo beginnt da die Fiktion, wo die Narration, und wie lässt sich die „Autofiktion“ historisch verankern? – Das Karussell drehte sich immer schneller. Ich versuchte es von einer anderen Seite her, mit einer anderen Gattung und einem anderen medialen Dispositiv, den Soap-operas, Sitcoms, Serien und Feuilletons im Fernsehen: Sie erzählen Geschichten mit erfundenen Figuren, die klar in einer imaginären Filmwelt angesiedelt sind. Diese Figuren, ihre Aussagen, Haltungen und Lebenssituationen müssen nicht historisch belegt und verifizierbar sein. Doch wie kann man sich dann ihre Rezeption als „Nachbarfiguren“ erklären, welche die ZuschauerInnen in ihrem Alltag begleiten und eine beinahe reale Existenz erlangen, so dass Mutter Beimer aus der lindenstrasse auch im wirklichen Leben als Frau Beimer wahrgenommen und angesprochen wird? Und wie finden sich die ZuschauerInnen in einem Doku-Drama zurecht oder 1 Dieser Aufsatz beruht auf einem Gastvortrag, den die Autorin im November 1998 unter dem Titel „Fiktion – Nichtfiktion – Narration in Spiel-und Dokumentarfilm“ am Institut für Filmund Theaterwissenschaft and der Freien Universität Berlin gehalten hat. Eine frühere Version des Aufsatzes, der einen zweiten Teil zur Figurenanalyse umfasst, ist erschienen unter dem Titel „Von Vorstellungen und Darstellungen“. In: Rebus. Blätter zur Psychoanalyse, Nr. 20, 2002, S. 133–180. Die Studie, auf die sich Vortrag und Aufsätze beziehen, entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Für Anregungen und Diskussionen danke ich Kathrin Oester. 10 Margrit Tröhler montage/av in einer Doku-Soap, wie die seit ein paar Jahren so beliebten „fiktional-authentischen“ Alltagsreportagen das wahre leben, abenteuer robinson oder big brother genannt werden? – Auf dem Karussell ist inzwischen das Schwindelgefühl eingetreten, vor allem wenn wir uns nun noch die Frage stellen, ob wir es bei den folgenden Kinofilmen mit Fiktion oder Nichtfiktion zu tun haben und in welcher Form das Narrative hineinspielt. Dabei denke ich etwa an: Doc’s Kingdom oder Walk the Walk von Robert Kramer (USA 1987 und F/CH 1995), The Thin Blue Line von Errol Morris (USA 1987), Histoires d’Amérique von Chantal Akerman (F/B 1989), Roger and Me von Michael Moore (USA 1989), Paris is Burning von Jennie Livingston (USA 1990), Close-up oder Und das Leben geht weiter (Zendegi Edamé Dârad) von Abbas Kiarostami (Iran 1990 resp. 1992), Arthur Rimbaud – Eine Biographie von Richard Dindo (F/CH 1991), Calendar von Atom Egoyan (Can/D 1993), Caro Diario (Liebes Tagebuch) und Aprile von Nanni Moretti (I/F 1994 und 1998), Côute que coûte von Claire Simon (F 1996), No Sex Last Night von Sophie Calle und Greg Shephard (F/USA 1997), Der Apfel (Sib) von Samira Makhmalbaf (Iran 1998) oder Wanted von Kim Hopkins (GB 2002). Mit dieser Einleitung habe ich ein weites Feld von Fragen, Eindrücken und Vorstellungen eröffnet, das den Umgang mit heutigen medialen Produktionen bestimmt und oft konstruktiv verunsichert, indem es den Status der Bilder und Töne in Frage stellt und den Grenzbereich zwischen Fiktion und Dokumentation verschiebt oder gar verwischt. Es ist hier nicht mein Anliegen, diesen Fragestellungen im Einzelnen nachzugehen und konkrete Analysen zu diesem aktuellen Phänomen zu liefern (vgl. dazu Tröhler 1998; 2000a).2 Ich möchte 2 Kino- und Fernsehproduktionen, welche sich in den Grenzbereich zwischen Dokumentarund Spielfilm vorwagen, sind zwar seit den späten 80er Jahren sozusagen transkulturell zu einem medialen Phänomen geworden, jedoch stellen sie keineswegs eine neue Erfindung dar. Denken wir exemplarisch an: Menschen am Sonntag von Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer (D 1929), Chronique d’un été von Jean Rouch und Edgar Morin (F 1960), Abschied von gestern von Alexander Kluge (D 1966), Lost, lost, lost von Jonas Mekas (USA 1975), Fad ´Jal von Safi Faye (Senegal 1979) oder Mourir à trente ans von Romain Goupil (F 1982). – Wie aus den genannten Filmbeispielen zu ersehen ist, geht es mir in diesem Aufsatz nicht um die „Fakes“ oder “Mockumentaries“ wie etwa Zelig von Woody Allen (USA 1982), The Forbidden Quest von Peter Delpeut (NL 1993), Schily-Bili sem simeone (Es waren einst sieben Simeone) von Herz Frank und Wladimir Eisner (SU/Lettland 1985/89) oder auch The Blair Witch Project von Daniel Myrick und Eduardo Sanchez (USA 1999), die ihren Reiz aus einer (Ent-)Täuschung der ZuschauerInnen auf Grund von fiktionalen respektive dokumentarischen Lektürevorgaben ziehen (vgl. dazu etwa Hattendorf 1995; Kessler 1998, 73f.; Odin 2000, 52). Für die Filme, die meinem Aufsatz zu Grunde liegen, könnten hingegen einige der Kriterien, die Bill Nichols für den „Perfomative Documentary“ 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 11 vielmehr einige Reflexionslinien und Orientierungshilfen durch den Wald der Konzepte anbieten. Obwohl mein Interesse für diese medialen Produktionen letztlich von der Frage nach deren Rezeption gelenkt ist, möchte ich zuerst von einer übergeordneten Warte aus verschiedene Vorstellungen von TheoretikerInnen herausschälen, welche ihren jeweiligen Auffassungen von Fiktion, Nichtfiktion und Narration zu Grunde liegen. Ich beginne mit zwei Positionen, die je ihren epistemologischen Hintergrund haben, den ich hier nur grob umreißen kann. Ich versuche, diese theoretischen Ausrichtungen nicht als Glaubenssätze zu betrachten, sondern darin Standpunkte und Tendenzen herauszustellen. So hoffe ich, meiner Fragestellung näher zu kommen, auf die es keine eindeutige Antwort gibt (ich bin mir allerdings bewusst, dass auch dies ein Glaubenssatz ist). Die beiden Ausgangspositionen für meine Reflexion betreffen die Fiktion und die Narration. Dabei geht es einerseits um philosophische Konzepte, andererseits um sprachliche Begriffe – und die beiden Probleme decken sich keineswegs. Wie immer ist die Benennung einer Idee zwar wissenschaftlichen und sozialen Konventionen unterworfen, kann jedoch grundverschiedene Konzeptionen durchscheinen lassen, denn was die eine Theoretikerin als fiktional definiert, ist noch lange nicht das, was ein anderer darunter versteht und was eine dritte eventuell in Begriffen der Narration zu fassen versucht. Doch beginnen wir mit den Konzepten. Kurz und vereinfachend könnte man festhalten, dass sich das Interesse an der Fiktion auf das Erfinden von Geschichten ausrichtet, während sich das Interesse am Narrativen hauptsächlich auf das Erzählen und Darstellen von Geschichten konzentriert. Die meisten Fiktionstheorien sind durch die (analytische) Sprachphilosophie und die modale Logik angeregt, wohingegen die Narratologie von formalistischen und strukturalistischen Ansätzen aus der Sprach- und Literaturwissenschaft geprägt ist. Hinter diesen beiden Forschungsrichtungen, die über die Literaturtheorie auch in die Filmwissenschaft Eingang gefunden haben, stehen Denktraditionen und Weltanschauungen, die ein tiefer Graben trennt. Auch wenn sie oft denselben Gegenstand bearbeiten, nähern sie sich ihm aus unterschiedlichen, manchmal gegensätzlichen Richtungen, zum Beispiel, was das Verhältnis des Textes oder mehr noch: der Sprache zur Welt der Dinge betrifft. Auf der Bühne der Dichtung, auf der sich Fiktion und Narration einen Disput liefern über die Vorherrschaft der Semantik respektive der Struk- bespricht, diskutiert werden. Dieser verschiebt ebenfalls die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation, neigt jedoch zur expressiven, essayistischen Collage (Nichols 1994, 92–106). Meine Argumentation situiert sich auf einer anderen Ebene, jener der Weltenkonstruktion, und erfordert deshalb auch eine andere Filmauswahl. 12 Margrit Tröhler montage/av turen, kompromittieren sich beide Parteien, doch sie treten von verschiedenen Seiten her auf, und oft bleibt die Frage der Nichtfiktion im hochgezogenen Vorhang hängen ... Ich werde in einem ersten Schritt versuchen, einige grundlegende Auffassungen, welche die beiden Herangehensweisen bestimmen, vorzustellen (wobei ich stärker auf die in der Filmwissenschaft weniger diskutierten Fiktionstheorien eingehe), um sie danach mit der Vorstellung zum Nichtfiktionalen des Dokumentarfilms zu konfrontieren und über den Vorschlag zu einer begrifflichen Differenzierung die verschiedenen Konzepte in Berührung zu bringen. Die Vorstellungswelten der Fiktion Das Fiktionale wird in den Fiktionstheorien als ein Produkt der Imagination verstanden, das mehr oder weniger mittelbar im Verhältnis zu seinem Referenten, der Welt der Wirklichkeit, diskutiert wird. Die Sprache, der mündliche, schriftliche oder auch der filmische Ausdruck stellen nur eine der möglichen Formen des Fiktionalen dar. Als unausgesprochene Grundvoraussetzung gilt oft die Annahme, dass die Welt losgelöst von und vor der Sprache exisitiert, ja sogar ohne sie. Wahrnehmungen, Erfahrungen und Konventionen entstehen zuerst einmal unabhängig von Sprache in der Gesellschaft, in einer Tradition und in einem Netz von Kodes, die durch soziale Praktiken bestimmt sind. Um sich darin zurecht zu finden, bilden die Menschen Schemata, die nicht oder nicht primär sprachlich bedingt sind. Diese entwickeln sich in einem Wechselspiel von Stabilität und Erneuerung und setzen sich aus Faktischem und Imaginärem zusammen: Fiktion und Realität vermischen sich im gelebten „Mythos“ oder auch in religiösen Ritualen, für welche meist eine archaische Zeit angenommen wird. Solange diese als eine Glaubenssache akzeptiert und praktiziert werden, stellt sich die Frage nach der Wahrheit und dem Realen nicht. Ist dies nicht mehr der Fall, taucht das Problem der Referenzialität und damit das Bemühen um die Definition und Abgrenzung von Realität und Fiktion auf (Pavel 1986, 57ff., 80f., 129ff.). Ohne die interne Diskussion der verschiedenen Ansätze und ihrer Differenzen zu führen und sie in der Theoriegeschichte zu situieren, können wir mit Thomas Pavel zwei extreme Positionen benennen, welche die VertreterInnen der Segregation und jene einer integrationistischen Haltung einnehmen (ibid., 11ff.). Dazu nur soviel: Für die „Segregationisten“ gibt es nach Pavel keine wahre Existenz ausserhalb der Realität; der Inhalt der fiktionalen Texte ist reine Erfindung und kann keinen Anspruch auf Wahrheit erheben. Die Fiktion ist 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 13 damit per se als Trugbild, als Täuschung, als Illusion bezeichnet, und die Diskussion wird in Begriffen der Wahrheit geführt. Die klassische analytische Philosophie, etwa in der Position von Bertrand Russell oder bereits von Gottlob Frege, und einige der Vertreter der modalen Logik in der Sprachphilosophie, zu denen auch der junge Wittgenstein gehört, sind von dieser Auffassung geprägt (ibid., 21f.; Dole el 1998, 19 u. 26; Hamburger 1987, 54f.). In einer sehr viel moderateren Weise bekennt sich auch die Sprechakttheorie, zumindest in ihren Anfängen, zu diesem Lager, zum Beispiel mit John R. Searle in den 60er oder Paul Grice in den 70er Jahren (Pavel 1986, 28ff.; Dole el 1998, 11ff.): Sie stellt zwar nicht eigentlich die Frage, ob fiktionale Texte wahre oder falsche Behauptungen machen, jedoch trennt sie diese – ähnlich wie Käte Hamburger ihre eigenständige textpragmatische Position schon in den 50er Jahren begründet – kategorisch von den „Wirklichkeitsaussagen“ des nichtfiktionalen Diskursmodus ab; Hamburger spricht der Fiktion die Kreation einer Schein- oder Pseudowelt zu, die von der referenziellen Welt und den Aussagen über sie losgelöst zu behandeln ist (Hamburger 1987, 56f.).3 Für die Fraktion der „Integrationisten“ hingegen gibt es Pavel zufolge keinen wirklich ontologischen Unterschied zwischen den fiktionalen Darstellungen der Welt und den nichtfiktionalen. In ihrer Skepsis gegenüber jeglichen Texten und jeglicher Wahrnehmung sehen sie alle Diskursformen willkürlichen Konventionen unterworfen, die in keiner Verbindung zur Wahrheit stehen. Pavel zählt dazu etwa David Lewis, der in Anlehnung an den empirischen Philosophen David Hume unter Konventionen alle möglichen Regularitäten in wiederkehrenden Situationen versteht, in denen das Verhaltensmuster allgemeinen Erwartungen entspricht, und die unter anderem die Regeln im Umgang mit der Fiktion bestimmen. Pavel reiht hier auch den Anthropologen Victor Turner mit seiner Theorie der „sozialen Dramen“ ein, der in alltäglichen sozialen Praktiken und kulturellen Darstellungen analoge Handlungsabläufe, Spannungsbögen und konventionelle Erfahrungsmuster am Werk sieht. Zu den „Konventionalisten“ gehören nach Pavel aber auch die VerfechterInnen des linguistischen, selbstreferenziellen Paradigmas von Ferdinand de Saussure, das die gesamte semiotische Tradition bestimme, welche Pavel sehr polemisch behandelt. (Ich komme auf die letztgenannte, textuelle Position in Zusammenhang mit den Konzepten der Narration zurück.) Alle diese unterschiedlichen integrationisti- 3 Die Autorin unterscheidet zudem die „Als-Ob-Struktur“ der täuschend echten, mimetischen Darstellung der bildenden Künste von der „Als-Struktur“, die in fiktionalen, das heisst für sie in dramatischen, epischen, filmischen und letztlich in allen narrativen Texten, den Schein von Wirklichkeit erzeugt, auch dann wenn diese eine unwirkliche Welt erstellen; vgl. 1987, 57–60. 14 Margrit Tröhler montage/av schen Ausrichtungen kommen ohne die Befragung des Verhältnisses der Fiktion zur referenziellen Welt aus (Pavel 1986, 11f. u. 114–135). Sozusagen eine Zwischenposition vertritt Thomas Pavel selbst, indem er sich gegen die essenzialistischen, philosophischen Ansätze wie gegen die formale Analyse abgrenzt und den Bezug zu den nichtlinguistischen Theorien der Konventionalität und den nichttextuellen Ansätzen der Pragmatik sucht (ibid., 9f. u. 136ff.). Ähnlich betrachtet der Literaturtheoretiker Lubomìr Dole el die Fiktionalität als ein primär semantisches Phänomen, das er auf der „Achse Repräsentation (Zeichen) – Welt“ angeht. Er versteht Texte als semiotische Objekte, deren „formal and pragmatic aspects are not denied but have an auxiliary theoretical role“ (Dole el 1998, 1–24, hier 2). Dennoch widmet er einen Großteil seines Buches der textuellen Gestaltung der semantischen Weltenorganisation und untersucht auch die narrativen Strukturen des Fiktionalen (ibid., 23, 32ff. u. 145ff.). Umberto Eco hingegen baut seine Fiktionstheorie explizit auf den pragmatischen und textuellen Voraussetzungen der kognitiven Mitarbeit eines (Modell-)Lesers auf: Die fiktionale, weltbildende Komponente erscheint bei ihm als ein Bestandteil des Verstehens von narrativen Texten (Eco 1990; 1989).4 Mit diesen drei Autoren, auf die ich mich hier beschränke, sind wir bei der Semantik der möglichen Welten angelangt, die das Problem nicht metaphysisch in Begriffen der Wahrheit angeht, sondern die Grenzen, Distanzen und Überschneidungen zwischen den Bereichen der Realität und der Fiktion sowie den fiktionalen und den nichtfiktionalen Diskursen auslotet. Sie behandelt die Fiktion als kulturelle Institution aus einer philosophischen und gewissermaßen kulturanthropologischen Sicht und lässt zu deren Begründung mehr oder weniger stark strukturelle, textuelle, das heißt im weiteren Sinne auch sprachliche Bedingungen gelten. Bevor ich mich nun dem Aufbau fiktionaler Welten widme, möchte ich noch folgenden Aspekt betonen: Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität – als Wahrnehmungsformen und Vorstellungsgebilde – sind historisch und kulturell kontingent und verschieben sich laufend in einem wechselseitigen Austausch mit gesellschaftlichen Veränderungen. Ebenso wie die Menschen im Mittelalter 4 Der Ansatz von Eco ist von vornherein rezeptiv (kognitiv) ausgerichtet; jedoch benötigt das Theoriegebäude von Dole el, dem er das Begriffspaar „extension/intension“, das auf Freges Unterscheidung zwischen „Sinn“ (reference) und „Bedeutung“ (sense) zurückgeht, zu Grunde legt, ebenfalls eine zumindest implizite, zuweilen aber auch explizite Leserposition (Dole el 1998, 135ff., 169ff.). Bei Eco (1990, 164ff.) kommt zudem das Argument der kulturellen Bedingtheit von fiktionalen Welten ausdrücklicher zum Tragen als bei Pavel und Dole el. Zu den historischen und kulturspezifischen Aspekten von semiotischen, modellbildenden Systemen äußert sich auch Lotman 1981 und 1990. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 15 wohl eine andere Auffassung und einen anderen Umgang mit dem Fiktionalen hatten, musste sich die für die Weiterentwicklung des (westlichen) Kinos so zentrale Gattungsunterscheidung zwischen fiktionalen und dokumentarischen Aufnahmen im Laufe der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erst etablieren (vgl. etwa Diederichs 1986; Cosandey 1993). Diese scheint in manchen außereuropäischen und weniger faktenorientierten Kulturkreisen jedoch auch heute kaum relevant. So beinhalten Spiel- wie Dokumentarfilme in der zentralasiatischen und iranischen Filmtradition viele für mitteleuropäische ZuschauerInnen fantastisch anmutende Elemente, die möglicherweise auf eine andere Grenzziehung zwischen Fiktion und Realität verweisen, und zwar bezüglich der Wahrnehmung von Bildern und literarischen Weltentwürfen wie der Alltagswahrnehmung der Menschen. Und in Bezug auf die Liste der Filme am Anfang dieses Aufsatzes können wir uns fragen, ob sich der Übergang zwischen Fiktionalem und Nichtfiktionalem vielleicht auch in unserer Kultur zur Zeit neu einpendelt... Auf jeden Fall fließen im Grenzbereich zwischen Fiktion und Realität kulturelle Unterschiede und Unterscheidungen zusammen, die ethnischer, altersund geschlechtsspezifischer Natur sein können und die Produktion und Rezeption von Filmen als einer „sozialen Praxis“ in einer bestimmten Zeit beeinflussen: im Zusammenwirken eines „Erfahrungspotenzials“ im Umgang mit medialen Produktionen und eines „gesellschaftlichen Ortes“, der von verschiedenen, sich immer wieder verändernden Diskursen durchdrungen ist, wie Christof Decker (1998, 46 u. 59) für das Direct Cinema zeigt. Umgekehrt können wir mit Roger Chartier davon ausgehen: [...] il n’est pas de pratique ni de structure qui ne soit produite par les représentations, contradictoires et affrotées, par lesquelles les individus et les groupes donnent sens au monde qui est le leur. (Chartier 1989, 1508) So sind auch die theoretischen Konzepte, die ich hier vorstelle, sowie meine Darlegung von kulturspezifischen und historisch wandelbaren Komponenten geprägt. Unter diesen Voraussetzungen möchte ich in der Perspektive der erwähnten Fiktionstheorien, die sich auf die Semantik der möglichen Welten stützen, annehmen, dass die Vorstellung des Universums, wie es zumindest die TeilnehmerInnen westlicher Kulturen verstehen, einer Weltenkonstellation gleicht. Man kann sich diese wie ein Sonnensystem vorstellen oder wie einen Seifenblasenball, der aus mehreren aneinander haftenden Kammern besteht. Wer sich an die abstrakteren Darstellungen aus der Mengenlehre erinnert, hat mit den Bildern der sich überschneidenden Kreise und den sich daraus ergebenden Teil- 16 Margrit Tröhler montage/av mengen ebemfalls eine gute mentale Hilfskonstruktion zur Hand. Das Universum umfasst also nebst der aktuellen oder aktualen Welt, die wir gemeinhin „Wirklichkeit“ oder „Realität“ nennen, zahlreiche andere, alternative Welten. Dabei stellen fiktionale Welten nur eine Form von möglichen Welten dar: Während die Logik oder auch die Mathematik von einem Modell der „empty worlds“ ausgehen, versteht die Fiktionstheorie ihre Modelle von fiktionalen möglichen Welten als „furnished worlds“, die immer bereits mit individuellen Eigenschaften ausgestattet sind (Eco 1989, 54f.; Dole el 1998, 15, 22f.). Fiktionale Welten sind somit nichtaktualisierte, mögliche Zustandsbeschreibungen (states of affairs), die von der aktuellen Welt, der Basis, her – durch semiotische Vermittlung – zugänglich sind, auch wenn ihre Gesetze von jenen der „natürlichen“ Welt, die wir in der Fiktion als „realistisch“ wahrnehmen, abweichen (Dole el 1998, 12–24, 115ff.; Eco 1989, 55ff.; Eco 1990, 166ff.; Pavel 1986, 43–725). Die Verbindung oder Zugänglichkeitsrelation (accessibility) zwischen den verschiedenen Welten zu erstellen, setzt kulturelle Kompetenzen voraus: Umberto Eco spricht vom enzyklopädischen (Welt-)Wissen, das die LeserInnen oder ZuschauerInnen in allgemeinen „Szenographien“ (oder „frames“) aktivieren, die im Umgang mit Texten durch spezifischeres (Fach-)Wissen aus intertextuellen Szenographien ergänzt werden (Eco 1990, 94–106).6 Diese kognitive Verbindung zwischen den Welten kann über ontologische, logische, psychologische, emotionale Aspekte funktionieren. Von einem externen Standpunkt aus betrachtet gibt es Fälle, in denen das Gesagte oder Gezeigte in allen möglichen Alternativen „wahr“ sein muss:7 Hier entspricht die Verbindung der Welten in den Begriffen der Logik einer Möglichkeitsbeziehung, die durch die Notwendigkeit definiert ist, wie wir es für den Dokumentarfilm (tendenziell) annehmen können. Es gibt andere Situationen, in denen eine Aussage in mindestens einer der möglichen alternativen Welten wahr sein muss, und die Möglichkeitsbeziehung ist sodann ausschließlich durch die Möglichkeit – und nicht durch die Notwendigkeit – bestimmt, wie dies grundsätzlich im Spielfilm der Fall ist, der dadurch seine fiktionale Eigen- 5 Pavel würde die Vermittlung zwar nicht als semiotische bezeichnen, sondern eher als durch koordinative, soziale Muster bestimmte (1986, 123ff.), doch auch er vertritt keineswegs einen mimetischen Ansatz: Zwischen der Wahrnehmung fiktionaler und aktueller Welten findet immer eine Übersetzung statt. 6 Im Bereich des Kinos arbeiten die verschiedenen Vertreter einer kognitivistisch inspirierten Schematheorie mit ähnlichen Konzepten, vgl. etwa Bordwell 1985, Branigan 1992, Colin 1992. 7 Viele Grundsätze der Semantik der möglichen Welten des 20. Jahrhunderts gehen auf Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zurück, so dass Dole el (1999, 41–62) ihn als eigentlichen Begründer dieser Philosophie ansieht. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 17 gesetzlichkeit legitimiert. Betrachtet man diese Weltkonstruktionen von einem internen Standpunkt aus, so kann sich jeder Text auf unzählige und unterschiedliche fiktionale und mögliche Welten beziehen, und umgekehrt lässt sich eine dieser Welten durch unzählige Texte immer wieder anders beschreiben und gestalten. Keine der Welten und keiner der Texte muss mit der Realität deckungsgleich sein – auch wenn realistische Weltkonstruktionen dies zuweilen anstreben (Dole el 1989, 170) –, besser: Sie können es gar nicht, denn die Wirklichkeit ist immer größer als jegliche der alternativen Teilwelten, auch wenn diese über jene hinauslappen (wie im Falle des Märchens, des Fantasy- oder des Sciencefiction-Films, aber auch in der Traumwelt und erst recht in einem Traum einer Figur im Film). Fiktionale Welten sind also immer unvollständig, heterogen und textuell gestaltet oder, wie bereits erwähnt, semiotisch vermittelt; sie sind „small worlds“ (Eco 1989; Dole el 1989, 15 u. 22ff.). Für den analytischen Philosophen Nelson Goodman, der eine radikale konstruktivistische Position vertritt, gibt es so nur unzählige Welt-Versionen, die in einem bestimmten Bezugsrahmen mehr oder weniger „richtig“ sind (Goodman 1984, 13–37). Auf dieser Grundlage können wir den Gedanken wagen, dass auch die Welten, die der Dokumentarfilm entwirft, „small worlds“ sind, denn jede semantische Weltkonstruktion ist eine reduzierte, organisierte Darstellung, die in einer diskursiven Dynamik neu perspektiviert wird, dass aber ihr Bezugsrahmen, wenn wir diesen in einem pragmatischen Sinne verstehen, ein anderer ist (ich komme darauf zurück). Die TeilnehmerInnen einer Kultur kreieren in ihrem Alltag wie bei der Rezeption von Büchern oder Filmen laufend alternative Welten, die mit der wirklichen Welt verglichen werden, welche auch nur eine mögliche, „möblierte“ und reduzierte Welt darstellt und immer eine Konstruktion ist: Sie genießt als referenzielle Bezugswelt dennoch einen besonderen Status (vgl. Eco 1989, 56f.; Dole el 1998, 177ff.); Pavel spricht sogar von einer ontologischen Vorherrschaft der aktuellen Welt (1986, 47f. u. 54ff.). Es ist also die Vorstellung von der Wirklichkeit, die die Zugänglichkeit der fiktionalen Welten bestimmt, denn eine bestimmte Form der Grenze oder des Übergangs besteht wahrscheinlich immer, zumindest solange man psychisch und als Mitglied einer kulturellen Gemeinschaft in der Lage ist, zu unterscheiden zwischen dem, was allgemein als real, als in der Wirklichkeit möglich, angesehen wird, und dem, was als diskursives oder fiktionales Universum gelten kann: Keine Kultur verwechselt die aktuelle Welt mit einem imaginären Universum und umgekehrt. (Gewisse Philosophen behaupten heute zwar, dass sich mit dem Computerzeitalter und den virtuellen Bildern diese Sicherheit der Realitätswahrnehmung als Referenz verwischt, ja gar verliert – doch hier sind wir wieder bei den Glaubensfragen.) 18 Margrit Tröhler montage/av Wenn wir noch einmal Thomas Pavel beiziehen, so können wir die Fiktion als duale Struktur verstehen: Kinder backen Sandkuchen und tun so, als könne man sie essen; sie verteilen Rollen unter sich, denn es gibt die, welche die Sandkuchen backen und jene, die sie essen. Für die Zeit des Spiels ist diese alternative Welt mit ihrer eigenen Logik völlig real; sie ist also keine Täuschung, kein Trugbild und keine Illusion, sie ist einfach eine Scheinwelt, eine alternative, mögliche Welt: eine „Als-Ob-Struktur“ (Pavel 1986, 54ff.) oder nach Hamburger einfach eine „Als-Struktur“ (Hamburger 1987, 56f., vgl. Anm. 3). Dieses „game of make-believe“, wie es Pavel bezeichnet (1986, 55), ist der Idee des russischen Kultursemiotikers Jurij Lotman nicht unähnlich, der textuelle Weltkonstruktionen als „modellbildende Systeme“ betrachtet, welche einen „spielerischen Mechanismus“ in Gang setzen: Der spielerische Mechanismus beruht nicht auf der starren gleichzeitigen Koexistenz verschiedener Bedeutungen, sondern auf dem ständigen Bewußtsein, daß jeweils auch andere Bedeutungen als die, die man gerade rezipiert hat, möglich sind. Der spielerische Effekt besteht also darin, daß die verschiedenen Bedeutungen eines Elements nicht starr nebeneinander stehen, sondern ‚oszillieren‘. Jede Sinndeutung stellt einen eigenständigen synchronen Schnitt dar, bewahrt dabei aber zugleich die Erinnerung an die voraufgegangenen Interpretationen und das Bewußtsein für weitere mögliche Deutungen in der Zukunft. (Lotman 1981, 82f.)8 Wenn wir einen Spielfilm sehen, so akzeptieren wir als soziale Konvention – ganz ähnlich wie die Kinder, die Sandkuchen backen –, dass die SchauspielerInnen erfundene, nicht real existierende (fiktive) Figuren verkörpern, Königinnen oder Diebe oder alltägliche NichtheldInnen, die in ihrer Rolle einen Eigennamen tragen und eine Geschichte haben. Für die Zeit des Films kann ihre Welt als real angenommen werden, eine Welt, die ihren eigenen logischen und physikalischen Gesetzen gehorcht und von welcher aus weitere alternative Welten entstehen können (zum Beispiel in einem Film im Film). Wir vergessen dabei dennoch nicht, dass die Figuren SchauspielerInnen sind. Dies zeigt auch die Kritik, die man an ihrem Spiel oder an ihrer symbolischen Rolle, aber auch an der filmischen Inszenierung oder am Drehbuch üben kann, ohne ihre fiktionale 8 Zu den Systemen, die ein reduziertes „Modell der Wirklichkeit“ entwerfen und durch textuelle Strukturen modelliert sind, vgl. zudem Lotman 1993, 300ff.; 1994. Die system- und spieltheoretischen Grundlagen von Lotmans Ansatz sind in die kognitionspsychologische Filmtheorie von Wuss (1993, 35ff.) eingeflossen. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 19 Existenz grundlegend in Frage zu stellen.9 Akzeptieren wir die Realitätsebene der Fiktion, so können wir diese Figuren, ihre Beziehungen, ihre Umgebung, die Organisation ihrer Welt mit dem Bild vergleichen, das wir uns von der Realität machen, zumindest solange ein Film eine „natürliche“ fiktionale Welt konstruiert, die auf den physikalischen, sozialen, axiologischen und ethischen Gesetzen, die wir für die aktuelle Welt annehmen, beruht (Dole el 1998, 115–128). „Unmögliche“, das heißt nichtnatürliche oder übernatürliche Welten können manchmal nur noch in Details mit den physikalischen Gesetzen der Wirklichkeit verglichen werden, anders gesagt: Sie stehen zur aktuellen Welt in einem negativen Vergleich. Trotzdem sind sie für sich gesehen plausibel und logisch möglich, ja in ihrer fiktionalen Existenz sogar „real“ (ein falsch verstandener „Realismus“ hat diese Sichtweise manchmal verhindert). Als kooperative LeserInnen bauen wir die neuen Gesetze in unsere Weltvorstellung ein, damit die alternative Welt funktionieren kann, oder wir unterdrücken ihre Unähnlichkeit, um uns darin zurechtzufinden, denn unmöglich sind letztlich nur die unverständlichen Welten (Eco 1989, 64f.; Dole el 1998, u.a. 163f., 222f.; Lotman 1994, 143f.). Diese Vergleiche zwischen den Welten scheinen stark an die Figuren gebunden: So konstruieren wir „mögliche Personen“ oder „possible counterparts“ (Dole el 1998, 16f.), denen wir menschliche Fähigkeiten und Emotionen zuschreiben (eine Idee, die ich weiter hinten begründen werde). Psychologische Interpretationen halten sogar bezüglich nichtnatürlicher, unrealistischer Welten lange stand. Dies scheinen etwa die Filmkritiken zu Lost Highway von David Lynch (USA 1997) zu bestätigen. Die meisten KritikerInnen haben versucht, die Geschichte dieses Films auf einen pathologischen Zustand der Hauptfigur zurückzuführen. Man sprach von der Schizophrenie oder von der Paranoia der männlichen Hauptfigur, deren Rolle auf zwei Schauspieler aufgeteilt sei, von der psychischen Verwandlung der Figur, die eine andere Identität annehme, was der Film in einer zweiten Figur physisch visualisiere. Nur so konnten manche KritikerInnen dem paradoxen Universum dieses Films einen Sinn abringen. Auch wenn dies vielleicht die dominante Leseart des Films war, bin ich überzeugt davon, dass sie nicht die einzige ist: Dass es mindestens noch eine strukturellere, aber auch eine weniger rationale Lesart von diesem Film gibt, der eine in sich logische, mögliche Welt erstellt, in der die Gesetze der unsrigen jedoch nur noch beschränkt gelten. Eine fantastische Lektüre dieses Films 9 Dies zeigen etwa die Untersuchungen zu Serien- und Filmfiguren von Ang 1985; Fiske 1987; Keppler 1995 u. 1996; Wulff 1996 u. 1997. 20 Margrit Tröhler montage/av verlangt, dass wir unsere Vorstellung von den Existenzbedingungen und den Fähigkeiten, also unser Konzept von einer möglichen Person erweitern und uns mit dem möglichen Anderen auseinandersetzen, während eine abstrakte, selbstreflexive Lesart das psychologische Konzept als solches unterläuft. Auf der anderen Seite gibt es fiktionale Welten, die sich auf historische Ereignisse stützen und mit der aktuellen Welt in einem engeren wechselseitigen Verhältnis stehen, da sie sich an diese anlehnen und von den ZuschauerInnen bis zu einem gewissen Grad direkt mit ihr in Verbindung gebracht werden. Hier gilt grundsätzlich die oben angesprochene Beziehung der Notwendigkeit zwischen den Welten, zumindest zwischen einzelnen ihrer Aspekte. Der semantisch-logische Vergleich – die Verifizierbarkeit der Elemente in einem Spielfilm oder in einem Dokumentarfilm, das heißt allgemein ihre Referenzialität – stellt jedoch nur ein Argument zum Verständnis der Grenze zwischen Fiktion und Nichtfiktion dar. Drehen wir die Perspektive um und gehen vom Kontext aus, in dem Filme gesehen und verstanden werde, so können wir annehmen, dass dabei die gesellschaftsbedingte Auffassung bezüglich des Faktischen respektive die kulturelle Toleranz gegenüber dem Fantastischen ebenso wie die individuelle Einstellung gegenüber einer möglichen Existenz des Übernatürlichen, der Bildungsstand oder die politische Haltung der LeserIn oder ZuschauerIn eine wichtige Rolle spielen. Weiter sind die pragmatischen Bedingungen der „Institution“ des Kinos oder des Fernsehens ausschlaggebend: Damit sind all die paratextuellen und kontextuellen Informationen gemeint, die ZuschauerInnen vor dem Film über Presseerzeugnisse, Ansagen und die Rahmenbedingungen einer Visionierung erhalten und die ihre Lektüre beeinflussen (Odin 1983 und 1990; Kessler 1998, 66ff.; Carroll spricht diesbezüglich von der „Indexierung“ der Filme; vgl. 1996, 232ff.). Denn wenn man ins Kino geht oder bevor man einen Film im Fernsehen, im pädagogischen Umfeld von Schule oder Universität anschaut, weiß man meist, ob man einen Dokumentar- oder einen Spielfilm sehen wird, welche Maßstäbe im Vergleich der Welten anzuwenden sind und in welchem diskursiven Modus sich die Filmbilder und -töne an uns wenden. Die Filmrealität wird daraufhin einerseits an intertextuellen Genrekonventionen und -erwartungen gemessen, die durch gesellschaftliche Rezeptionsgewohnheiten geprägt sind (Schweinitz 1994); andererseits bereiten diese externen Anweisungen vor dem Hintergrund von historisch und kulturell veränderlichem Weltwissen einen Lektüremodus vor, in dem wir grundsätzlich die „fiktiven“ von den „assertiven“ Aussagen unterscheiden können (Plantinga 1987, 48f.; Carroll 1996, 242f.). Anders ausgedrückt: Sie leiten entweder den Glauben an die Realität der Fiktion und deren Aussagen ein oder unterwerfen diese einer Prüfung der 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 21 Glaubhaftigkeit (Joly 2002, 154ff.10). Kombiniert man diese Überlegungen zu den Rezeptionmodi oder -haltungen mit einem Begriffspaar aus der Sprechakttheorie von John Searle, so kann man auch vertreten, dass die ZuschauerInnen in Bezug auf das filmische Universum entweder „horizontale“ oder „vertikale“ Konventionen bezüglich der Referenzialität ins Spiel bringen, und nur für letztere muss diese Verbindung „als Aussage über die afilmische Welt akzeptabel“ sein (Kessler 1998, 73; zur Diskussion der Begriffe von Searle, die dieser auf die Produktionsinstanz des Diskurses bezieht vgl. ibid., 64ff.). Wollen wir uns jedoch dem komplexen Grenzbereich zwischen Fiktion und Nichtfiktion nähern, so hilft uns eine außertextuell begründete, kategorische Trennung der beiden diskursiven Modi nicht weiter, denn als ZuschauerInnen schulen und verschieben wir unser Verständnis der beiden Konzepte auch im Umgang mit Filmen und anderen medialen Produktionen. Interessanter scheint es deshalb auch für die Theorie, von einem semiopragmatischen Ansatz bezüglich fiktionaler und nichtfiktionaler „small worlds“ auszugehen und anzunehmen, dass ein Film durch seine Gestaltungsweise ebenfalls Anweisungen zur Bestimmung des Status seiner Bilder zur aktuellen Welt enthält (auch wenn diese alleine nicht ausreichen, um den Lektüremodus festzulegen11). Alle diese Konventionen, die externen wie die internen, sind historisch und kulturell wandelbar. Dennoch scheinen ZuschauerInnen bei der Rezeption eines Films immer über verschiedenartigste Hinweise zu verfügen, ob seine Welt eher „realistisch“ oder „fantastisch“, eher „fiktional“ oder „faktisch“ zu lesen ist, und meist müssen sie sich in gemischten, „dyadischen“ oder „hybriden“ Welten zurechtfinden (Dole el 1989, 128ff., 187ff.; Eco 1989, 55f.; Odin 2000, 55f.). Ein solcher Fall stellt zum Beispiel die historische fiktionale Figur dar, wenn sie von den RezipientInnen nicht nur als plausibel, sondern als verbürgt und damit als „wahr“ oder zumindest als „richtig“ akzeptiert werden soll, vor allem wenn es sich um eine allgemein bekannte Persönlichkeit handelt, von der man – wenn ihr Leben nicht allzu weit zurückliegt – gewisse Dinge einfach weiß. In diesem Fall muss sich die Biographie mit ihrer Tendenz zur Konstruktion eines überhöhten, 10 Interessant scheint mir, dass die Autorin zwischen zwei Glaubensmodalitäten unterscheidet, dem Glauben an die Fiktion (croyance) und der Glaubhaftigkeit dokumentarischer Bilder (crédibilité), denn: „[...] dans les deux cas de figure nous sommes dans le croire: il faut croire pour rêver, il faut croire pour apprendre“; das heißt: „on croit le supposé vérifiable du documentaire [...] avec la confiance propre à l’apprentissage“ (Joly 2002, 156). 11 Die Semiopragmatik vertritt das Argument von dieser Seite her, um die textuelle Analyse auf den Kontext der Produktions- und Lektürebedingungen von Diskursen hin zu öffnen (Odin 2000, 10). In der Perspektive der Konstruktion fiktionaler Welten gehe ich an dieser Stelle das Konzept bewusst vom anderen Ufer her an. 22 Margrit Tröhler montage/av „mythischen“ Bildes einer Persönlichkeit an den Fakten reiben.12 Mit anderen Worten: Historische Figuren besitzen eine „transworld-identity“ (Dole el 1998, 17; Eco 1990, 168). Dennoch gibt es auch hier Strategien und Techniken, um von der referenziellen Belegbarkeit abzuweichen und den Anteil der fiktionalen Welt zu vergrößern, indem etwa eine erfundene oder wenig historisch belegte Nebenfigur die „wahre“ Geschichte der historischen Persönlichkeit erzählt (was eine Subjektivierung der Sichtweise bedeutet13) oder indem der Film sich explizit auf ein Dokument beruft, das es nicht gibt oder gab, und seine mögliche Welt somit in die Kategorie des Irrealis („was wäre geschehen wenn“) einschreibt. Umgekehrt kann sich ein solcher Spielfilm auch mit historischen Details im Dekor oder gegebenenfalls mit authentifizierenden Bildern schmücken (exemplarische Fälle sind die Verwendung von Schwarzweiß-Aufnahmen im Farbfilm oder von historischen Fotografien), um der zwar nicht frei erfundenen, aber gespielten und deshalb immer verdoppelten historischen Figur Echtheit und Aktualität, das heißt auch den Eindruck von Faktizität zu verleihen (vgl. Comolli 1977): Auch sie bleibt jedoch immer ein „possible counterpart“. Bezüglich der Freiheiten, die sich ein Spielfilm gegenüber historischen Fakten erlauben kann, kommen wiederum pragmatisch-kulturelle Aspekte zum Tragen, die über die referenzielle Verifizierbarkeit der filmischen Aussage, jedoch auch über die Anweisungen der Institution hinausweisen. So wurde JFK von Oliver Stone (USA 1991) zwar von gewissen Kritikern vorgeworfen, dass er den Bericht der Warren-Kommission ignoriere und eine zweifelhafte Konspirationstheorie über den Mord an John F. Kennedy vertrete. Doch hatte der Film großen Erfolg, und seine Version der Geschichte wurde wohl grundsätzlich nicht in Frage gestellt: denn wir können annehmen, dass die Konspirationsthese immer noch dominant akzeptiert wird und in den Köpfen vieler Leute sehr wohl „real“ und „glaubhaft“ ist. Hingegen wurde einem Film wie Malcolm X von Spike Lee (USA 1992) vielfach eine eingeschränkte und vereinfachende, ja tendenziöse Sicht auf die Persönlichkeit und den Mord an Martin Luther King angekreidet. Man hat ihn als propagandistischen Film betitelt, ihm seine Sichtweise dann aber zum Teil auch wieder „verziehen“, da sie von einem afro-amerikanischen Autor gezeichnet ist.14 12 Vgl. etwa Brinckmann 1997 sowie Taylor 2002, 339–370 zu Young Mr. Lincoln von John Ford (USA 1939). 13 Die potenzielle Zugänglichkeit der Figuren und des filmischen Universums über deren subjektive Sichtweise ist eines der hauptsächlichen Kriterien, fiktionale von nichtfiktionalen Texten zu unterscheiden (Genette 1991, 75ff.; Brinckmann 1997, 11f.). 14 Zu den beiden genannten Filmen und zum postmodernen Dilemma zwischen historischer „Wahrheit“ und Fiktion vgl. Williams 1993 und Rosenthal 1995, 197ff. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 23 Hier spielt also das Bild und das Wissen – das man von einer filmischen Institution respektive von einem Autor und dessen sozialer, ethnischer und ethischer Position besitzt – eine Rolle für die Toleranz in Bezug auf die Konstruktion einer möglichen fiktionalen Welt, die unverkennbar mit „Fakten“ der aktuellen durchdrungen ist. Zudem gesteht man einem Hollywood-Film wahrscheinlich von vornherein einen größeren Grad an Fiktionalität zu als einem Autoren- oder einem Independent-Film. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, wie stark die aktuelle Welt von dem Bild abhängt, das eine Gesellschaft, eine Gruppe und innerhalb dieser eine einzelne Person sich von dieser Welt oder von einem historischen Ereignis machen (in einer Kultur, zu einem bestimmten Zeitpunkt). Beide genannten Filme verraten klar eine ideologische Haltung; doch – um die Unterscheidung von Pavel zu benutzen – diejenige in JFK vertritt weitgehend eine bereits existierende Auffassung: Die Rückverbindung, die von der Fiktion zur Realiät gemacht wird, ist daher konservativ und bestätigend. Die Verbindung, die in Malcolm X für die Akzeptanz der fiktionalen Welt nötig ist, kann dagegen als progressiv, kreativ oder erneuernd bezeichnet werden: Sie schlägt eine noch nicht bestätigte, eine marginale Sicht auf die Geschichte vor und hat es deshalb schwerer, als plausibel und als glaubhaft akzeptiert zu werden (vgl. Pavel 1986, 57). Der referenzielle Bezug scheint hier in beiden Fällen durch die doxa, die dominante, öffentliche Meinung gegeben, welche einen imaginären Referenten konstituiert und höchstens diskursiv verifizierbar ist: In diesem Sinne bezeichnet Eco die aktuelle, referenzielle Welt, auf die sich ZuschauerInnen immer beziehen, um eine fiktionale Welt zu verstehen, grundsätzlich als „doxastische“ (Eco 1989, 56).15 Was die allgemeinen Voraussetzungen der Theorien fiktionaler Welten anbelangt, können wir also davon ausgehen, dass fiktionale Texte in der Regel gemischte Systeme sind und dass die Heterogenität der Welten, ihre simultane, parallele, manchmal konkurrierende Existenz zur Vorstellung über die aktuelle Welt für die Wahrnehmung und das Verstehen der ZuschauerInnen nicht außergewöhnlich ist (ähnlich wie in der von Lotman beschriebenen Spielsituation). So scheint der Unterschied zwischen einer fiktionalen Semantik und einer nichtfiktionalen Semantik von einem internen Standpunkt aus gesehen eher ein gradueller als ein wesentlicher zu sein (ibid., 53 u. 71f.).16 15 Vor einem ganz anderen theoretischen Hintergrund problematisiert Christa Blümlinger (1998) die Referentialität von dokumentarischen Bildern. Sie analysiert, wie der Film Level Five (Chris Marker, F 1997) sich auf historische Ereignisse als einen kollektiven Gedächtnisort bezieht und diesen dekonstruiert. 16 Auch Odin (2000, 53ff.) und Boillat (2001, 17ff.) bauen ihre Theorien auf ein graduelles Verständnis der Fiktionalität auf; sie argumentieren dabei sozusagen von der anderen Seite 24 Margrit Tröhler montage/av Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass sich die Fiktionstheorien primär für die Semantik interessieren. In der Analyse der fiktionalen Welten geht es vorrangig darum, deren Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben und in einen Bezug zur aktuellen Welt zu stellen: Der hauptsächliche Problemkreis betrifft somit die Referenzialität, wobei diese als logische Verbindung, als pragmatische Voraussetzung und/oder als kognitive Kooperation verstanden werden kann. Letztlich stehen dabei immer die Fragen nach der Interpretation oder Bedeutungszuschreibung im Vordergrund (und so ist die Frage nach der „Wahrheit“, selbst als kritische, nicht ganz aus der Diskussion wegzudenken, wie sich auch in meiner Argumentation feststellen lässt). Obwohl ich mich bisher dem Grenzbereich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm aus der Warte der Fiktionstheorie angenähert habe, kann ich hier bereits festhalten, dass bezüglich des Dokumentarfilms, sozusagen vom andern Ufer her, oft ähnliche Anliegen die Diskussion bestimmen. Zuerst nun aber zu ein paar Konzepten der Narration oder allgemeiner: des Narrativen. Die Darstellungsmuster des Erzählens Das Interesse am Narrativen als „Sprach“-Produktion (im weiteren Sinne, also auch auf nichtverbale Sprachen bezogen) liegt auf dem Erzählen als einer dominanten Diskursform, die lange vor allem in fiktionalen Texten analysiert wurde. Diese Denktradition geht auf den russischen und tschechischen Formalismus und auf die Semiotik zurück (wobei ich hier nicht auf die Differenzen zwischen den einzelnen Ansätzen eingehen möchte und mich tendenziell auf die französische Ausrichtung beschränke). In ähnlicher Weise sind diese Theorien – im Gegensatz zu den Fiktionstheorien – von der grundlegenden Auffassung bestimmt, dass es außerhalb der Sprache kein Denken gibt, dass die Sprache, oder allgemeiner und moderner ausgedrückt: das Diskursive das Universum strukturiert, unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von Welt konstituiert. Der Diskurs bestimmt die Strukturen und Kodes in einem Text, welche gleichsam unabhängig von der Welt der Dinge erforscht werden, weil es diese Welt außerhalb des Textes zwar gibt, wir sie ohne „Sprache“ jedoch nicht fassen können. Als Grundlage für diese Auffassung gilt bei Saussure der arbiträre Charakter des sprachlichen Zeichens. Dieses Zeichen wird als autonomes betrachtet; es besteht in der klassischen Auffassung, die sich mit der Sprache als her, nämlich der semiotisch-narrativen, die sie je auf ihre Weise mit pragmatischen Aspekten und Elementen der Semantik der möglichen Welten kombinieren. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 25 System (langue) auseinandersetzt, unabhängig von seinem Referenten in der sozialen Wirklichkeit und von seinen BenutzerInnen. Doch hat eine Kultursemiotik, wie sie etwa je auf ihre Weise Roman Jakobson, Roland Barthes, Umberto Eco oder Jurij Lotman vertreten, einige dieser Prämissen schon länger in Frage gestellt.17 Auch die Filmsemiotik hat mit Christian Metz von Anfang an die Arbitrarität des kinematographischen Zeichens problematisiert, das Verhältnis des analogen Bildinhalts zur referenziellen Welt als ein motiviertes, jedoch gestaltetes oder kodiertes (wie man es damals nannte) beschrieben und den Film als eine Sprache (langage) ohne Grammatik definiert (Metz 1972). Zudem öffnete sich die französische Narratologie, die in dieser Tradition steht, spätestens in den 90er Jahren zur Leserin oder zum Zuschauer hin, zum Beispiel durch die Konzepte der Enunziation oder der Semiopragmatik (in ähnlicher Weise interessiert sich ihre Stammwissenschaft, die strukturalistische Linguistik, seit den 70er Jahren vermehrt für die SprachbenutzerInnen und deren Sprechhandlungen). Dennoch bleibt die Rezeption in der Narratologie eine theoretische Position, die sich im Text spiegelt: Der enunziative Prozess zeigt sich in den Konfigurationen der textuellen Gestaltung, die den Film auf die ZuschauerInnen hin ausrichten.18 Die Narratologie verfolgt also weitgehend eine interne Analyse auf der Ebene des Textes, ihr Anliegen ist ein formal-poetologisches. Sie beschäftigt sich natürlich auch mit der Semantik, jedoch stärker mit der Konstruktion von Bedeutung als mit der Interpretation, das heisst hier dem Sinn eines Textes (um die Unterscheidung von Roland Barthes zwischen textueller Bedeutung und außertextuellem Sinn zu benutzen; vgl. etwa Barthes 1964). Diese Forschungsrichtung stellt sich primär die Frage, wie das Narrative entsteht, wie Texte, also auch Filme, erzählen. Sie kann diese Frage auf der Ebene der semantisch-logischen Tiefenstruktur verfolgen, indem sie die Organisation, den Aufbau und letzlich das System einer Erzählung erforscht, unabhängig vom Medium, in dem dieses sich aktualisiert. Darin werden die Figuren durch ihre Handlungen als abstrakte Kräfte oder Aktanten und als Rollen analysiert, wie dies Ende der 20er Jahre bereits der russische Formalist Vladimir Propp und später in unterschiedlicher Weise die französischen Strukturalisten Barthes, Greimas, Bré- 17 Jakobson beschäftigte sich bereits in den 30er Jahren mit nichtsprachlichen Zeichensystemen, die zum Verständnis der Kultur als Text führen vgl. Jakobson 1992; Barthes 1957; Eco 1972; Lotman 1993, 1990. 18 Ein stärker historisiertes und kontextualisiertes Konzept der Enunziation, das dennoch sprachwissenschaftlich begründet ist, entwickelt zum Beispiel Michail M. Bachtin bereits seit den 30er Jahren; vgl. etwa Bakhtin 1986. 26 Margrit Tröhler montage/av mond oder Todorov unternahmen.19 – Oder die narratologische Fragestellung bezieht sich weniger auf das Produkt als auf die Produktion, den Prozess der Narration an der Oberfläche des Textes, und bewirkt dadurch eine Akzentverschiebung von der inhaltlichen Struktur auf die Seite des Signifikanten und der Ausdrucksformen. So erforscht sie die wahrnehmbaren Merkmale, welche die narrativen Strukturen und stilistischen Muster – oder allgemeiner: die Enunziation als Akt und Prozess des Aussagens – in einem Text sichtbar machen. Ansätze in dieser Richtung entwickeln Gérard Genette oder Seymour Chatman für die Literatur20 oder im Bereich des Kinos Christian Metz und die neuere französische Filmnarratologie21 und, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, ebenfalls die amerikanische neo-formalistische Erzählforschung.22 Auf dieser Ebene spielen die spezifischen Ausdrucksformen des Mediums, die sich, je nach Sichtweise, der Erzählung bedienen oder diese überhaupt erst hervorbringen, eine wichtige Rolle, sowie die Tatsache, dass der Film stärker als jedes andere Medium die Aktivitäten des Erzählens und des Zeigens kombiniert und aufbauend auf der Analogie des fotografischen Bildes und der Bewegung auch seine fiktionalen Bild-Ton-Welten kreiert.23 Mit dem enunziativen Konzept von Christian Metz in der Kombination mit einem semio-pragmatischen Ansatz, wie ihn Roger Odin seit Anfang der 80er Jahre (Odin 2000)24 oder kürzlich auch Alain Boillat (2001) entwickelt haben,25 19 Vgl. Propp 1975 [1928]; für die französischen Ansätze der 60er Jahre gilt der Band Communications, 8, 1966 als historisch wegweisend. Selbstverständlich haben die verschiedenen Autoren ihre Positionen später verfeinert. 20 Genette 1972 und 1983; Chatman 1978 und 1990. Chatmans Fragstellungen sind bereits als vergleichende Studie zu Literatur und Film angelegt. 21 Metz 1997, um hier nur sein letztes Werk zu nennen; Aumont/Marie 1988; Vanoye 1989; Gaudreault/Jost 1990; für einen Überblick zur filmischen Enunziationstheorie französischer Prägung vgl. Communication, 38, 1983. 22 Ich nenne auch hier nur die hauptsächlichen Vertreter dieser Ausrichtung: Bordwell 1985; Thompson 1988; Branigan 1992; eine Einführung in diesen Forschungsansatz geben Hartmann/Wulff 2002. – Für einen Überblick über die Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen den strukturalistisch und den formalistisch inspirierten Theorien der 80er und 90er Jahre und deren jeweilige epistemologische Hintergründe sowie die Affinitäten der ersteren zur Psychoanalyse und der zweiten zur Kognitionspsychologie vgl. Stam/Burgoyne/Flitterman-Lewis 1992. 23 Ich spiele hier auf die Unterscheidung des telling/showing aus der Literaturwissenschaft an, die etwa von Gaudreault (1989, 83–116), Gardies (1993a, 9–23) oder Odin (2000, 26f., 32–35) für den Film neu diskutiert wurde. 24 Odin (1993) formuliert seine Differenzen zum rein textuellen Konzept der Enunziation von Metz. Der Aufsatz macht jedoch auch die Nähe der beiden Theoretiker deutlich. 25 Eine stärker informationstheoretisch und kognitiv geprägte Ausrichtung der „Pragmasemiotik“ entwickelt Wulff 1999. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 27 lassen sich die filmischen Konfigurationen oder Formen der Adressierung auf ihre „Wirkungen“ und ihre pragmatischen Bedingungen hin analysieren: Diese Wirkungen stellen immer vom filmischen Text und von der kulturellen Institution des Kinos oder des Fernsehens konstruierte Effekte dar, die als interne und externe Lektüreanweisungen analysiert werden, welche die ZuschauerInnen mitkonstruieren (aufnehmen, ergänzen, umdeuten, zurückweisen). Da ein semio-pragmatisches Konzept der Enunziation jegliche Textproduktion als einen doppelten Prozess des Aussagens und der Lektüre in einem kommunikativen Raum versteht (Odin 1988; 2000, 10), bietet es die Möglichkeit, die Spezifik der Wirkungskonstruktionen in Spiel- und in Dokumentarfilmen sowie ihr Zusammenwirken zu untersuchen, in den ersteren nebst den narrativen vermehrt die beschreibenden, argumentativen und poetisch-assoziativen (sprich: lyrischen) Funktionsweisen zu erforschen und in den nichtfiktionalen Filmen verstärkt nach narrativen Dynamiken zu fragen. Denn: die Erzählforschung stützte sich lange Zeit und fast ausschließlich auf fiktionale Texte. Dies hatte zur Folge, was schon Gérard Genette für die Literatur kritisierte, dass die konzeptuelle Differenzierung zwischen Fiktion und Narration ausgeblendet wurde, da fiktionale Texte in dominanter Weise narrativ sind – doch gilt dies weitgehend auch für nichtfiktionale, d.h. referenziell stärker gebundene Texte wie die Geschichtsschreibung (Genette 1991; vgl. auch Ricoeur 1983) oder Dokumentarfilme (Nichols 1981 u. 1991; Jost 1998). Narrative und fiktionale Aspekte auf der Bühne des Dokumentarischen Bei näherer Betrachtung können wir feststellen, dass viele Dokumentarfilme narrative Prozesse und Lektüren in Gang setzen, und zwar auf verschiedenen Ebenen, die sich vereinfachend folgendermaßen darstellen lassen. Auch Dokumentarfilme erzählen und gestalten meist eine Geschichte, einen Erzählstoff, selbst wenn sie ihn nicht erfinden; sie organisieren diese inhaltlichen Elemente in einer Erzählung, in einem Textgebäude, in dem die narrativen Blöcke raumzeitlich angeordnet sind. Dieses wird von der Narration als einem dynamischen enunziativen Prozess perspektiviert und von der textuellen Aussageinstanz als Ausdrucks- und Adressierungsmodus strukturiert.26 Die Narration mischt sich 26 Mit dieser Dreiteilung lehne ich mich an die Unterscheidung von Genette (1972, 71ff.) zwischen histoire, récit und narration an. (Sie gleicht jener in story, plot und narration, wie sie Bordwell (1985, 49ff.) diskutiert, auch wenn die beiden Strukturierungen nicht deckungs- 28 Margrit Tröhler montage/av immer mit anderen Modi, ob wir sie im Spielfilm als Beschreibung und Argument charakterisieren (Chatman 1990) oder als lyrisch-poetischen Diskurs (Odin 2000, 141–150) oder im dokumentarischen Bereich als expositorischen, beobachtenden oder interaktiven Modus.27 Alle diese Modi bezeichnen die Enunziation als Akt und Prozess, als abstrakte Produktion von Diskurs. Sie wirken in einem Film zusammen, lassen sich aber durch die formale und semantische Anordnung der Informationen, der Bilder und Töne in einem Gesamtzusammenhang charakterisieren und in den Spuren (Konfigurationen, Merkmalen), welche die Enunziation in der Orientierung des Diskurses durch ihre Aussageinstanzen hinterlässt, differenzieren.28 Ich möchte mich hier jedoch auf den Aspekt des Narrativen beschränken und zu dessen Entstehung und Organisation einzig ein paar Momente herausgreifen, die mir auch für den Dokumentarfilm grundlegend erscheinen.29 Dokumentarfilme können als Ganzes einem Modell der Erzählung gehorchen. Vor allem, wenn wir unter Erzählung im klassischen, aristotelischen Sinne einen „geschlossenen Text“ verstehen, der einen Anfang oder Exposition, eine Mitte oder Transformation und ein Ende – verstanden als Wiederherstellung eines alten oder als Etablierung eines neuen Zustandes – aufweist.30 Claude Brémond zufolge bauen die Minimalbedingungen der narrativen Transformation auf einem menschlichen oder vermenschlichten Kernelement auf, welchem der Text Fähigkeiten und Privilegien – wie ein Bewusstsein, Gefühle, die Kraft, Handlung einzuleiten und die Fähigkeit zur Wertung – zuweist (Brémond 1973, 313, 327f.). Durch diese anthropomorphen Eigenschaften werden die Ereignisse – in der klassischen Erzählung – auf ein Ziel hin ausgerichtet: semantische und diskursive Aspekte, makro- und mikrostrukturelle Momente bedingen sich dabei gegenseitig. Wenn wir nun einen Schritt aus der narratologischen Sichtweise herauswagen, so können wir auf dem Hintergrund der Theorien der gleich sind.) Das verstärkte Interesse für die enunziative Prozesshaftigkeit und die pragmatischen Aspekte von Texten seit den 80er Jahren bringt bezüglich dieser Unterscheidung eine Akzentverschiebung von der Erzählung zur Narration mit sich; vgl. bereits Genette 1983, 11. 27 Vgl. Nichols 1981, 69ff. u. 104ff.; 1991, 32ff.; für eine kritische Diskussion dieser Konzepte von Nichols vgl. Decker 1994. 28 In meinem Verständnis der textuellen Aspekte der Enunziation lehne ich mich an Metz (1997, 2–27) an. Hamburger (1987, 57ff.) behandelt ähnliche Fragen aus ihrer sprachlogischen Perspektive in Begriffen des Fiktionalen und nähert sich von dieser Seite einem Konzept der Enunziation an; vgl. Metz 1997, 168ff. 29 Eine differenzierte und umfassendere Bestimmung der Prozesse der Narrativen legt Odin (2000, 25–36) vor. 30 Mit dieser reduzierten sequentiellen Definition der Erzählung wären wohl alle Autoren in Communication 8 (1966) einverstanden. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 29 möglichen Welten annehmen, dass wir als RezipientInnen fiktionaler wie nichtfiktionaler Texte diese Anhaltspunkte, die wir in der alternativen Welt bezüglich einer Figur vorfinden, ergänzen, bis wir bei der imaginären Konstruktion einer möglichen Person angelangt sind.31 Wenn in einem weniger klassischen Film die Anhaltspunkte spärlicher sind, die Ereignisse und Handlungen der Figuren weniger kohärent dargeboten werden oder weniger motiviert erscheinen, wenn die Erzählung keinen wirklichen Anfang hat, wir also wenig oder keine Informationen zum Aufbau einer Geschichte erhalten, so konstruieren wir immer noch „mögliche Personen“, wohl solange die Welt, in der sie sich bewegen, einigermaßen konsistent und logisch möglich bleibt. Dies führt mich zu der Behauptung, dass viele der heutigen Dokumentarfilme ebenfalls eine diegetische Welt entstehen lassen.32 Die Diegese ist das nicht referenziell begründete Konzept, das die Narratologie zur Erfassung des fiktional-semantischen Universums im Spielfilm einsetzt und das in der filmwissenschaftichen Diskussion auf den Filmologen Etienne Souriau (1997) zurückgeht. Die Diegese skizziert die Welt, die ein Text aufbaut oder voraussetzt und die nicht an das filmische Medium gebunden ist: Sie ist ein deskriptives RaumZeit-Universum von relationalen Strukturen, in dem eine Geschichte sich ereignen kann und das also eine potenzielle Narrativität besitzt (Gardies 1993a, 41ff. u. 1993b, 59ff.; Odin 2000, 17ff.). Da wir mit Eco und Dole el davon ausgehen müssen, dass jeder Text immer nur small worlds erstellt, muss die Diegese letztlich als rezeptive Größe verstanden werden, als das Ergebnis der mentalen, fiktionalisierenden Aktivität, eine Welt zu konstruieren. Sie ist demnach ein imaginäres Universum, das in der Vorstellung der ZuschauerInnen entsteht, 31 Vgl. Dole el 1998, 13ff. Diese Idee kann mit dem kognitivistisch inspirierten, anthropologischen Konzept des person schemas in Verbindung gebracht werden, auf das Smith (1995, 20ff.) seine Theorie der Figurenwahrnehmung (auf der grundlegenden Ebene der recognition) aufbaut, auch wenn er sich dabei hauptsächlich aber nicht ausschließlich auf den Spielfilm bezieht. Ähnlich beschreibt Wulff die rezeptive Tätigkeit der „Attribution“, durch welche der „Akteur als ein handlungsfähiges Wesen in einem intentionalen Feld erfasst“ und durch die Zuschreibung von Charaktereigenschaften als „konsistentes Konzept einer Person konstruiert“ wird (1996, 32). 32 Ausgenommen sind dokumentarische Produktionen wie Lehr- oder Industriefilme, die hauptsächlich über den Off-Kommentar eines Experten oder die frontale Adressierung im Bild funktionieren, welche heterogene, unselbstständige Teilwelten zentrieren und zum Zweck der Demonstration in ihr Argument einbauen (vgl. Odin 2000, 129ff.). Auch für den performativen Dokumentarfilm, von dem Bill Nichols spricht (s.o., Anm. 2), gilt oft Ähnliches, zumal dann, wenn dieser ein Puzzle von Teilwelten gestaltet, das durch den stark gelenkten, subjektiv und emotional geprägten Diskurs der filmischen Instanz perspektiviert wird wie etwa in Surname Viet Given Name Nam von Trinh T. Minh-ha (USA 1989) (vgl. Nichols 1994, 92ff.). 30 Margrit Tröhler montage/av welche sich am Bild der natürlichen, aktuellen Welt orientiert. Nicht jeder Film gibt uns jedoch genug Anhaltspunkte, um eine diegetische Welt aufzubauen. Folgen wir Odin, so stellt die Figur (einmal mehr!) den Angelpunkt dar, der es den ZuschauerInnen ermöglicht, sich eine textuell vermittelte und erzählte Welt zugänglich zu machen: „[...] je diégétise lorsque je considère que j’ai à faire à un espace habitable par un personnage“ (Odin 2000, 23, Herv.i.O.33). Und dies gilt, wenn auch nicht zwingend, ebenfalls für den Dokumentarfilm (Odin 2000, 129; Gardies 1993a, 43; Boillat 2001, 121ff.). Dieser Raum wird zu einem potenziell narrativen bereits durch die Figuren oder möglichen Personen, die als Kernelemente die Erzählung einleiten, denn analog zu Odin (2000, 22)34 könnten wir sagen: Ich narrativisiere, wenn ich mögliche Personen konstruiere, denen ich menschliche Fähigkeiten (Handlung, soziale Rollen, Interaktion, Intentionen, Emotionen) in einem bewohnbaren Raum zuschreibe – auch dann, wenn der filmische Diskurs diese Erwartungen nicht oder nicht vollständig erfüllt und seine diegetische Welt eher über den beschreibenden und beobachtenden Modus aufbaut wie etwa in Délits flagrants (Auf frischer Tat) von Raymond Depardon (F 1994). Ich möchte diese möglichen Personen wie im Spielfilm als Figuren bezeichnen, um sie als Konstruktion zu kennzeichnen: als imaginäre und kulturell bestimmte Konstruktion der ZuschauerInnen und als zeichenhafte Konstruktion, die durch die expressiven filmischen Formen und Ausdrucksmittel gelenkt ist.35 Die diegetische, bewohnbare Welt, die wir nach dem Modell der sozialen Welt, welche wir kennen, erstellen, ist immer eine vom Text semantisch und formal organisierte: durch seine spezifische Verteilung der Informationen und die Präsentation der Objekte, Figuren und deren Beziehungen, die der Film über Bilder, Geräusche, verbale Aussagen, durch die Inszenierung seiner Aussageinstanzen sowie durch Montage und andere narrative Strategien vermittelt. 33 Ähnlich argumentiert Branigan (1992, 35), auf den sich Odin auch bezieht. Ich möchte jedoch meine Skepsis darüber ausdrücken, dass die Diegese bereits ein kausales zeiträumliches System erstellt. Dole el (1989, 96ff.), der den Begriff der Diegese nicht benutzt, sondern von der semantischen Organisation der fiktionalen Welt spricht, zeigt deutlich, wie diese – über die Figuren – von parallelen (symmetrischen und oppositionellen) und von hierarchischen (jedoch nicht unbedingt kausalen) Beziehungen der Interaktion und der Macht strukturiert ist. Auch Lotman (1993, 300ff., 330ff.) definiert seine systemhaften Weltmodelle vornehmend räumlich und spricht ihre Veränderung durch die Erzählung (bei ihm „Sujet“) der Figur zu. 34 Odin führt sein Argument hinsichtlich der potenziellen Narrativität indes nicht über die Figuren. 35 Ich kann hier nicht näher auf die Indexikalität und den Realitätseindruck der filmischen Bilder eingehen: Beide Aspekte sprechen Problemkreise an, die bei der Konstruktion der diegetischen Welt im Film eine spezifische Funktion einnehmen, die jedoch die diegetisierende Aktivität, die wir auch bei der Lektüre eines Romans anstreben, nicht grundsätzlich verändern (dazu Odin 2000, 19–21). 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 31 Die Narration dynamisiert diese Welt in einem Prozess (der auch die Lektüre bestimmt). In der klassischen Erzählung wird dabei ein zeitlich-kausaler Zusammenhang zwischen Handlungselementen geschaffen. Eine Geschichte erzählen kann man aber auch anders als nach diesem Modell. Zu analysieren wie der Dokumentarfilm seine Geschichten erzählt, zum Beispiel in mosaikartigen Mustern wie in den Filmen von Frederick Wiseman (vgl. Nichols 1981, 208ff.) oder über eine polyphone Montage der Gleichzeitigkeit wie in neueren ethnographischen Filmen (Marcus 1995), könnte die Auseinandersetzung mit postmodernen Erzählformen im Spielfilm weiterführen, die eher über Parallelitäten und assoziative Vernetzungen funktionieren. Damit ist auch die Frage nach der Erzählhaltung angesprochen, durch welche die Narration die erzählte Welt perspektiviert und die in den genannten Beispielen ihren zentrierenden, übergeordneten Standpunkt aufgibt. Oft bedient sich hier die Enunziation der Mittel der Beschreibung, die das Nebeneinander von Elementen bevorzugt: Durch plastische Verbindungen zwischen den Bildern und Tönen in der Montage entstehen so neue narrative und konzeptuelle Zusammenhänge (vgl. Tröhler 2000a; 2000b; 2001). Selbst wenn sich die Merkmale der verschiedenen Modi in Dokumentar- und Spielfilm nicht (mehr) grundsätzlich voneinander unterscheiden, kann man sich dafür interessieren, wie die beiden Gattungen die narrativen Momente mit den beschreibenden, argumentativen und poetischen verschränken, um ihre Welten zu konstituieren. Ich möchte davon ausgehen, dass die enunziativen Konfigurationen in ihrem Zusammenspiel vielfältige Möglichkeiten bieten, um eine differenzierte pragmatische Haltung (auch in ihren historischen und kulturellen Aspekten) als Aussageposition(en) in einen Film einzuschreiben. Um den wandelbaren Grenzbereich zwischen Fiktion und Nichtfiktion auszuloten, müssen ihre diskursiven und referenzialisierenden Funktionen wie ihr axiologischer Standpunkt immer wieder neu untersucht werden: Der Kommentar einer Figur, der sich in einem Dokumentarfilm über die Bilder legt, evoziert oder suggeriert oft mehr als das, was eine assertive Enunziation streng genommen verantworten kann; hingegen versucht die Erzählstimme im Spielfilm sich manchmal mit historischem Material zu authentifizieren und ihren fiktiven Status zu unterlaufen. Das Narrative bezeichnet in beiden Fällen einen Diskursmodus, der einen semantischen Inhalt organisiert und im weitesten Sinne als Geschichte präsentiert, ob diese erfunden ist oder nicht. Damit komme ich zum Verhältnis der Nichtfiktion zur Fiktion. Mit diesen beiden Begriffen können wir den semantisch-logischen und pragmatischen Status beschreiben, den die ZuschauerInnen den Bildern und Tönen in Bezug auf die Realität oder die aktuelle Welt zuteilen: die aktuelle Welt, die auch nur eine Unterschied: Fiktion nicht Fiktion 32 Margrit Tröhler montage/av mögliche ist, allerdings die möglichste aller möglichen Welten (mit ihren jeweils kulturell spezifischen Möglichkeiten). Wie ich in Bezug auf die historischen fiktionalen Figuren aus der Perspektive der Semantik der möglichen Welten zu zeigen versucht habe, mischen sich auch in die Fiktion meist aktuell mögliche Elemente, und andererseits kreieren wir auch im Dokumentarfilm mögliche Personen und vollbringen dabei eine diegetisierende, ja eine fiktionalisierende Aktivität. Für ein graduelles Verständnis von Fiktionalität möchte ich deshalb der Idee folgen, die erstens das Fiktionale nicht mit dem Fiktiven gleichsetzt.36 Fiktiv wäre demnach eine Aussageform, die das beinhaltet, was erfunden ist, was sich auf einen imaginären Referenten bezieht und somit der Verifizierbarkeit im Vergleich mit den Kritierien, die wir für die Konstruktionen der aktuellen Welt anführen, nicht standhalten muss. Um noch einmal auf das oben angeführte Beispiel zurückzugreifen: Es gibt historische Figuren in Spielfilmen, etwa in einer Biographie, die also ein fiktionaler Diskurs hervorbringt und gestaltet; sie bewegen sich in einem diegetischen Universum, das zumindest teilweise oder in Details fiktiv sein kann: Die biographische Figur ist dennoch nicht erfunden und somit in der hier vorgeschlagenen Unterscheidung nicht fiktiv (ähnlich Odin 2000, 56). Oder: Walk the Walk von Robert Kramer zeigt die Reise dreier Hauptfiguren durch das Europa der Gegenwart. Er stellt diese fiktiven Figuren – professionelle Schauspielerlnnen – in einen zeitgenössischen Kontext, in welchem sie zumeist in Interviewsituationen mit historischen, nicht-erfundenen „Personen“ in Kontakt treten. Der Film bleibt von seinem Referenz- und Adressierungsmodus her stark dem Dokumentarischen verpflichtet, obwohl viele Elemente erfunden sind. Die Frage, ob die Figuren nun aber „falsch“ oder „unwahr“ sind, hat darin keinen Platz; auch erscheint die diegetische Welt ihres fiktiven Status wegen kaum weniger „glaubhaft“. Wir können somit zweitens den Aspekt des Fingierten, das ich nicht als Täuschungsabsicht verstehe, beziehen auf das Schauspiel oder die Performance und 36 Ich lehne mich damit an Hamburger (1987, 57ff.) an. Die Autorin unterscheidet zwei Aspekte der Fiktion, die sie mit „fiktiv“ und „fingiert“ bezeichnet und welche ich parallel zu ihrer Unterscheidung in „fiktional“ (den Modus der Fiktion, die textuelle und imaginäre Weltenkonstruktion betreffend) und „fiktiv“ (das, was nur erdacht, erfunden ist) umbenenne. Zu diesen beiden Aspekten des „Fingierens“ (von lat. fingere: bilden, erdichten, vortäuschen, vorspiegeln) tritt in den Performance-Künsten die schauspielerische Darstellung, für welche ich den Begriff des „Fingierens“ reservieren möchte, da diese eine aktive, zentrale Funktion bei der Herausbildung von Fiktion einnimmt. Ich benutze den Begriff also in einem eingeschränkten Sinne (und enthebe ihn jeglicher Täuschungsabsicht); vgl. unten. Differenzierte, graduelle Konzepte des Fiktionalen schlagen, wie bereits erwähnt, auch Odin (2000, 47ff.) und Boillat (2001, 31ff.) vor, wobei sie nicht auf den Aspekt der Performance zu sprechen kommen. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 33 die Inszenierung, ein Aspekt, der zur Fiktion zu gehören scheint. Nun wissen wir aber spätestens seit Erving Goffman, dass jeder Mann und jede Frau in ein Rollenspiel eintritt, sobald er oder sie sich in einem sozialen Rahmen befindet (Goffman 1959; 1977). Auch in einem Dokumentarfilm inszenieren sich die Menschen vor der Kamera bewusst oder unbewusst selbst. Dies führt Bill Nichols dazu, von ihnen als „social actors“ zu sprechen, und Maxime Scheinfeigel analysiert sie als „autopersonnage“ (Nichols 1991, 120; Scheinfeigel 1989).37 Ob bereits diese Formen der Performance von sozialen Akteuren in einem Film als fiktionalisierendes oder gar fiktivisierendes Moment zu betrachten sind oder erst jene, die an eine Verdoppelung der Rolle geknüpft sind, wie dies für SchauspielerInnen, die eine fiktive Figur verkörpern, der Fall ist, bleibt letztlich Ansichtssache oder hängt zumindest von der Fragestellung und der Analyseebene ab. Ich würde hingegen vorschlagen, das Schauspiel im eigentlichen Sinne, die explizite Performance als fingierte zu charakterisieren, als schöpferische Ausdruckskunst der Fiktion. Auf diese Weise können wir auch die sozialen Akteure in einem Dokumentarfilm als Figuren oder mögliche Personen in Bezug auf ihre fiktionalisierende Selbstdarstellung hin anschauen. Wir können analysieren, wie sie sich vor der Kamera bewegen, wie sie auftreten, wie sie sich über etwas äußern, wie sie sich zu den anderen verhalten. So urteilen wir über den Auftritt eines Fersehsprechers, über seine Kleidung, seine Photogenität, so nehmen wir auch die Sprechweise, den regionalen Akzent, die Eigenarten einer Figur im Dokumentarfilm wahr. Auf dieser Ebene wenden wir natürlich gesellschaftliche Kodes an – auch in einem Spielfilm, wo soziale und fingierte Elemente in die Verkörperung einer fiktiven Figur einfließen. Im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion versuchen zeitgenössische Filme, die wie jene von Abbas Kiarostami, Robert Kramer oder Samira Makhmalbaf ihre Geschichten in einer alltäglichen Welt verankern, auf schauspielerischer „Improvisation“ aufbauen und sich dokumentarischer Referenzialisierungen bedienen, diese Kodes zu unterlaufen. Gehen wir nun noch einen Schritt weiter: Denn es gibt eine Ebene der Fiktion, auf der auch der Dokumentarfilm als gänzlich fiktional bezeichnet werden könnte (wenn dies nicht zu einer begrifflichen Konfusion führen würde). Den Status der Bilder und Töne betreffend gehören beide filmischen Formen nicht zur Realität, sondern zum Diskursiven, das sich hier durch die kinematographische Repräsentation äußert: Sie sind vorfabrizierte Werke, die sich nicht mehr 37 Alexandra Schneider, die das Konzept der Performance für den Familienfilm bearbeitet, gibt eine Übersicht über die Ansätze im dokumentarischen Bereich und erstellt eine Typologie zur filmischen Performancepraxis; Schneider 2001, Kap. III. 34 Margrit Tröhler montage/av verändern und deswegen als Quelle von Einwegkommunikation zu definieren sind. Und sie sind diskursive Konstruktionen durch die Auswahl des Gefilmten, durch dessen Inszenierung und Anordnung, Ausrichtung und Adressierung. Eine erste Fiktionalisierung, die durch die Abwesenheit des auf der Leinwand Anwesenden auch eine Irrealisierung bedeutet, findet hier statt; und auf dieser Ebene, welche die filmisch-diskursive oder enunziative Kraft in der Beziehung zum Imaginären bezeichnet, ist wohl die Aussage von Christian Metz, jeder Film sei ein fiktionaler Film, zu situieren.38 Wie ich zu zeigen versucht habe, lassen Dokumentar- wie Spielfilm an diesem anderen Ort der Leinwand zudem mögliche, „möblierte“ und „bewohnbare“ Welten von einiger Substanz und Kohärenz entstehen, sie bauen an einer diegetischen Welt, ob in einer fiktiven oder in einer assertiven Aussagehaltung. Auf dieser Ebene könnten sie ebenfalls beide als fiktionale Modi oder Gattungen angesehen werden (was im Experimentalfilm, der den poetisch-lyrischen oder den materiell-selbstreflexiven Diskurs über die Kreation einer Diegese hebt, nicht der Fall ist; seine Welt kann aber dennoch fiktiv begründet sein). Ähnlich, wenn auch zum Teil in einer anderen Begrifflichkeit, argumentieren Odin (2000, 48ff.) und Boillat (2001, 17ff., 180ff.), die ebenfalls von einem integrativen Standpunkt aus für eine graduelle Auffassung der Konzepte von Fiktion, Nichtfiktion und Narration plädieren, welche in jedem Fall eine differenzierte Befragung verlangen. Ein Film ist somit immer mehr oder weniger fiktional, enthält mehr oder weniger fiktive Elemente, ist mehr oder weniger narrativ oder ist all dies nur in bestimmten Momenten. Ebenso steht es mit der assertiven und der fiktiven Haltung der außertextuellen pragmatischen Aussageposition, die sich in einem Film analysieren, wenn auch nicht immer eindeutig bestimmen lässt (man denke nur an den Fall der Ironie). In ihrem Zusammenspiel können diese verschiedenen Momente und Aspekte dennoch eine dominante Lektüre für einen Film einleiten. Ich plädiere also nicht für die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Dokumentar- und Spielfilm, sondern für die genaue pragmatische (institutionelle und diskursive) sowie textuelle (semantische und strukturelle) Analyse. B: Diskursive Konstruktionen 38 Metz macht diese Aussage, die eine große Polemik in der Filmtheorie ausgelöst hat (vgl. etwa Plantinga 1987, 52f.; Carroll 1996, 224) in seiner psychoanalytischen Studie zum Kino-Signifikanten (2000, 45) im Zusammenhang mit der filmischen Wahrnehmung und dem Imaginären, indem er Theater- und Filmfiktion voneinander abgrenzt. Er kommt später in einer enunziativ-pragmatischen Aussage auf eine ähnliche Idee zurück und differenziert sie im hier besprochenen Sinne (1997, 168). In ihrer radikal konstruktivistischen Auffassung des ethnographischen Films nimmt Trinh T. Minh-ha (1997) die Aussage von Metz in dem hier besprochenen Sinne wieder auf, um ihrerseits provokativ zu formulieren: „There is no such thing as a documentary.“ 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 35 Gerade mit dem Argument, dass die Unterscheidung zwischen Nichtfiktion und Fiktion weder von narrativen Aspekten noch von filmischen Gestaltungsweisen abhänge, verlagert sich der theoretische Fokus bei Noël Carroll und Carl Plantinga jedoch exklusiv auf die pragmatischen Komponenten der „Indexierung“ eines Films in Begriffen der Sprechakttheorien. Sie betonen, dass die Differenz einzig in der (außertextuellen) Haltung (stance nach Plantinga) liege, welche die Aussage bestimme und den Status der Bilder zum Referenten der aktuellen Welt verdeutliche: Nur so könne – und müsse – zwischen der Wirklichkeitsaussage oder assertiven Proposition in Dokumentarfilmen und der fiktiven Proposition in Spielfilmen unterschieden werden (Plantinga 1987, 48f.; Carroll 1996, 242f.). Während die filmische Praxis auf der textuellen wie auf der pragmatischen Ebene in unzähligen Grenzüberschreitungen den Diskurspositionen und Weltentwürfen eine imaginäre Dimension eröffnet, welche – vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen zur Virtualität in den neuen Medien – die Frage der Referenzialität neu zu stellen vermag, beharren die genannten Autoren auf der strikten konzeptuellen Trennung der beiden Modi von einem externen Standpunkt aus. Es geht ihnen dabei zwar nicht darum, ob die gemachten Aussagen per se wahr oder falsch sind, auch nicht im Dokumentarfilm. Doch während die „fiktiven“ Aussagen im Spielfilm immer in einem metaphorischen Verhältnis zur Welt stehen, soll es die Intention der dokumentarischen Enunziationsinstanz sein, assertive oder deklarative Feststellungen über die aktuelle Welt zu machen – auch weil dies den Erwartungen der ZuschauerInnen entspreche (Plantinga 1987, 53)! Frank Kessler (1989, 64ff.) wie Roger Odin (2000, 51) insistieren darauf, dass dieses Argument über die außertextuell begründete Intention der Aussage des Autors durch die Frage nach dem Lektüremodus der ZuschauerInnen ersetzt werden muss. Denn diese können die textuellen wie die pragmatischen Anweisungen ignorieren, auf einen Spielfilm eine dokumentarisierende Lektüre anwenden (Odin 1990) oder in einem Dokumentarfilm nach fiktionalisierenden oder gar fiktivisierenden Momenten suchen. Selbstverständlich entsteht Bedeutung letztlich erst in der Lektüre eines Films, in der immer kulturelle, intersubjektive und individuelle Aspekte einfließen. Was heißt es jedoch, wenn sich im heutigen Zeitpunkt die filmische Praxis verändert und gewisse Filme bei den ZuschauerInnen eine Verunsicherung über Gattungszuordnungen und den Status der Bilder und Töne bewirken, indem sie die Grenzen zwischen Fiktion und Nichtfiktion verschieben? Wenn wir uns beim Sehen eines Films diese Fragen stellen, so sind wir uns nicht im Klaren über die pragmatische Haltung der Aussage, die sich in der Adressierung des Films selbst spiegelt: In den Begriffen Plantinga Carroll 36 Margrit Tröhler montage/av von Odin könnten wir sagen, das wir die diskursive Autorinstanz oder den Erzähler – nicht die empirische Person –, die die Bilder und Töne verantwortet und von der wir ein Bild entwerfen, neu zu positionieren versuchen, zwischen einem „realen“ und einem „fiktiven“ Enunziatär resp. einer Aussageinstanz (Odin 2000, 51f. u. 54ff.). Diese Unsicherheit über den filmischen und pragmatischen Ort der Aussage leitet immer eine metadiskursive Lektüre ein, welche die Reflexion über Kodes fördert. Wenn wir uns die Liste der Filme vom Anfang dieses Aufsatz noch einmal in Erinnerung rufen, so können wir uns fragen, welches Bild wir uns von der übergeordneten Aussageinstanz machen, wenn sich der fiktive und der reale Enunziatär annähern? Denn: Im Spielfilm scheint sich diese Instanz oft nicht mehr an einem unhinterfragbaren, anderen Ort außerhalb des Geschehens zu situieren (etwa in Zendegi Edamé Dârad [Und das Leben geht weiter] von Kiarostami, in Rosetta von Luc und Jean-Pierre Dardenne [B/F 1999] oder Zamani Baraye Mastiye Ashba [A Time for Drunken Horses / Zeit der trunkenen Pferde] von Bahman Ghobadi [Iran/F 2000]); im Dokumentarfilm lässt sie sich hingegen nicht mehr so eindeutig – wie dies Roger Odin (2000, 54) vertritt39 – in einer Wirklichkeit verankern, die sie mit dem realen Publikums teilt. Wenn das heisst, dass wir auf sie und ihre Aussagen die Gesetze der aktuellen Welt anwenden, dann scheinen letztere als „énoncés de réalités“ zumindest teilweise verunsichert (in unterschiedlicher Weise etwa in Walk the Walk oder in Roger and Me, in Les vivants et les morts de Sarajevo [Leben und Tod in Sarajevo, F 1993, Radovan Tadic] oder in Coûte que coûte von Claire Simon). Durch die unentscheidbare Frage der ZuschauerInnen nach der Position des Enunziatärs – der diskursiven Haltung, die man in der filmischen Aussage vermutet, eventuell auf Grund außertextueller, institutioneller Vorgaben sogar anzunehmen berechtigt ist– rückt der pragmatische Status der Bilder in den Zwischenraum einer fiktionalisierenden Prozesshaftigkeit, an einen diskursiven Ort zwischen der Welt der Leinwand und der Wirklichkeit, zwischen Fiktion und Nichtfiktion. Wenn wir uns verunsichern lassen, so fordern diese Filme die Auseinandersetzung mit dem pragmatischen und semantischen Bezug der Filmwelt – ob als fiktiver oder glaubhafter – zu ihrem Referenten; so rütteln sie auch an der Vorstellung, die wir uns von der aktuellen Welt machen, und problematisieren – über die seit längerem debattierte Krise der Repräsentation hinausführend – den Status der Bilder in unserer Gesellschaft. 39 Obwohl der Autor ein Schichtenmodell der Enunziation entwirft und diese letztlich in einem Film als eine meist gemischte Konstruktion zwischen „fiktiven“ und „realen“ Positionen des Enunziatärs definiert, behandelt er die Frage der Verunsicherung gegenüber heutigen Filmen einzig in der Form der Täuschung durch die „fakes“; vgl. 2000, 52. 11/2/2002 Fiktion – Nichtfiktion – Narration 37 Literatur Ang, Ien (1985) Watching Dallas. Soap Opera and the Melodramatic Imagination. Amsterdam: Uitgeverij SUA. Aumont, Jacques / Marie, Michel (1988) L’analyse de film. 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